In der häufig von Globalisierungsbefürwortern proklamierten Utopie einer vollständig, durch Hightech-Kommunikation vernetzten Weltgesellschaft, harmonisieren die ausdifferenzierten Funktionssysteme im globalen Dorf perfekt zusammen. Wird eine Person aus einem Bereich teilexkludiert, so findet eine automatische Inklusion in einen anderen statt, was zur Folge hat, das eine Vollexklusion aus diesem Gesamtsystem Gesellschaft theoretisch nicht vorgesehen ist. Und somit auch keine Auffangmechanismen für den Fall der Fälle Dennoch ist es nicht zu übersehen, dass sich durch weltweite Differenzierung der Funktionssysteme Ausschlussbereiche bilden und unübersehbar ausgeprägte soziale Ungleichheiten produziert werden, da die Verbreitung von Marktwirtschaft, Demokratie und sich der darauf basierende Wohlstand, sich nicht flächendeckend etablieren konnten. Theoretisch sind diese Unterschiede dazu bestimmt, nicht von allzu langer Dauer zu sein und sich auf die einzelnen Funktionssysteme zu beschränken. Tatsächlich, kommt es jedoch vor, dass Personen nicht nur den Anschluss an eines der Systeme verlieren, sondern eine Art Kettenreaktion dazu führt, dass der Anschluss zu anderen Systemen ebenfalls abreißt. Die zunehmende Arbeitsteilung führt zu immer höheren Ansprüchen an Mobilität und Flexibilität, es entstehen Gewinner- und Verliererregionen, wobei letztere mit den negativen Folgen der Globalisierung, wie Verarmung und Marginalisierung, konfrontiert werden.
2.2 Formen der Marginalität
Marginalsiedlungen rufen im Allgemeinen Mitleid oder eine gewisse Abscheu hervor. Kaum vorstellbar ist es für wohlsituiert Lebende, dass Menschen unter derartigen Bedingungen existieren können. Den Bewohnern mangelt es am Notwendigsten, sie leben in Elend, die soziale Ungleichheit ständig von Augen. Die Wohnstätten sind baulich degradiert, hochverdichtet und sind gekennzeichnet von dem meist hohen Gewaltpotential ihrer Bewohner. Auslöser dieser Squattersiedlungen ist zumeist eine unkontrollierte Zuwanderung aus ländlichen Gebieten in die verstädterten Gebiete. Fehlender Wohn- und Arbeitsraum, sowie mangelnde soziale Absicherung führen schließlich zur illegalen Besiedelung von stadtnahen Flächen, denen jeglicher Zugang zu Infrastruktur und Dienstleistungen verwehrt bleibt oder der nur in geringem Masse vorhanden ist.
Marginalsiedlungen, ob Slums in den USA und Indien oder Favelas in Brasilien, sind wie andere Siedlungsformen nicht immer gleichgestaltet. So muss zwischen verschiedenen Formen und Ausprägungen unterscheiden werden, da die Bevölkerungszusammensetzung einer Favela nie der anderen gleicht. So existieren Siedlungen, die aufgrund ihrer im Mindestlohnbereich arbeitenden Bevölkerung zwar mit der Minderwertigkeit der infrastrukturellen Einrichtungen ihres Wohngebietes zu kämpfen haben, deren nacktes Überleben aber nicht von kriminellen Netzwerken, Drogen- oder Waffenhandel abhängt. Die Bewohner nehmen trotz ihrer schlechten Lebensbedingungen in eingeschränktem Maße an verschiedenen Funktionssystemen der Gesellschaft teil. Dahingegen lassen sich Marginalsielungen ausmachen, deren Bewohner größtenteils ausgeschlossen sind von dem normalen, gesellschaftlichen Alltag.
Eine der wenigen Möglichkeiten am Reichtum der Wohlhabenderen teilzuhaben, besteht in der Anwendung von Gewalt oder Diebstählen, was wiederum zu einer weiteren Isolation beider Parteien führt: die Reichen schotten sich weiter ab, es bilden sich im Gated Communities oder condominios fechados auf der einen Seite. Auf der anderen Seite verstärkt sich die Isolation der Marginalsiedlungen mit steigender Kriminalität, da sie weder für die Stadt, noch für Polizei kalkulierbar sind. Geregelt werden Probleme durch intern gesteuerte Selbstjustiz. Dieser häufig vollzogene verwaltungstechnische Rückzug führt z.B. dazu, dass Slums mit knapp rund 4 Mio. Einwohnern, wie in Mexico City, auf keinem Stadtplan erscheinen So findet die Ausgrenzung aus städtischen Bereichen nicht nur auf einer sozialräumlichen, sondern ebenfalls auf ökonomischer und politischer Ebene statt. Die meist semilegalen oder illegalen Siedlungen bilden eine Art Vakuum, da die Behörden jeden Zugang verloren haben und sie nur aus Mangel an Alternativen geduldet werden. Städtische Versuche, die Siedlungen zu räumen und durch billigen, staatlich finanzierten Wohnraum zu ersetzen scheitern zumeist kläglich. Kaum ein Bewohner schafft es aus eigener Kraft wieder zurück in ein normales gesellschaftliches Leben: In Kalkutta bestehen rund 40% der Haushalte seit mehr als dreißig Jahre, die älteste Favela Rio de Janeiros zählt ca. 130 Jahre. Verarmung und Elend sind folglich keine Relikte unterentwickelter Kulturen, sondern sind teilweise durch die funktionale Differenzierung überhaupt erst entstanden, da deren Existenz auf dem Nutzen von Unterschieden beruht. Eine räumliche Ansammlung von Exkludierten stellen die Marginalsiedlungen dar.