Informationsseite Brasilien

Ein Beitrag zur Global Education Week - “Together for a World without Poverty”
5 Eine Lösung des Problems?


5.1 Lösungsansätze und ihr Scheitern

Die Armut in den Favelas lässt sich nicht mit kultureller Rückständigkeit aufgrund mangelnder Sozialkompetenz erklären. Zudem sind regionale Unterschiede in der Entwicklung kein Phänomen der Moderne, sondern sie fallen nur in der heutigen Zeit durch die häufige Thematisierung in den Medien besonders auf. Durch den Irrglauben, alles mit Hilfe von Technik und finanziellen Mitteln entwickeln zu können, ist es für diejenigen, die in den besser entwickelten Gebieten leben inakzeptabel geworden, dass manch andere nicht mithalten können. Nicht berücksichtigt wird, dass die Ausdifferenzierung Zeit gekostet hat, die den weniger entwickelten Regionen nun nicht zugestanden werden soll. Hier beginnt auch Schwierigkeit bei der Lösung der vorhandenen Problematik. Zum einen ist das beschriebene System der  Exkludierten vor allem aus dem Grund so stabil, da es keine wirklich greifbare Stelle für einen Lösungsansatz gibt. Wie auch bei der Süditalienproblematik lassen sich die Lösungen für das eine, funktional ausdifferenzierte System nicht eins zu eins auf das andere, quasisegmentär strukturierte, übertragen. Hier ist es nicht möglich ein einzelnes Teilsystem wie die Wirtschaft zu subventionieren und darauf zu spekulieren, dass sich der Rest dann von alleine regelt. Sicher wäre es möglich, z. B. durch finanziellen Input die Infrastruktur zu verbessern und so die Mobilität der Bewohner zu verbessern, dies behebt aber noch nicht das Bildungsdefizit und ändert schlagartig die Lebensführung. Technokratisch, rationale Lösungsansätze enden meist in Misserfolgen, die dann mit dem „Mangel an Sozialkapital“, der Mentalität oder der starken Traditionsverhaftung der zu entwickelnden Gesellschaft erklärt werden.


5.2  Netzwerke als Sozialversicherung

Reziproke und redistributive Beziehungen sowie Patron-Klient Verhältnisse werden durch die Einführung eines institutionalisierten Rechtssystems nicht einfach abgelöst. Unberücksichtigt in der Entwicklungspolitik bleib heute im Allgemeinen mitunter wie erwähnt der Zeitfaktor. Entwicklung und Evolution geschehen nicht einfach mehr, sie werden gemacht, wobei die Folgen dabei unberechenbar bleiben Umsiedlungsversuche von Favelados in baulich bessergestellte Hochhaussiedlungen scheiterten oft kläglich daran, das die Menschen ihre sozialen Bindungen innerhalb der Elendsviertel nicht aufgeben wollten. Trotz Kriminalität und Armut ist das soziale Geflecht der Bewohner, durch eigene Regeln und Gesetze, stark abgepasst an die gesellschaftlichen Gegebenheiten.  Milieuwechsel bedeutet zudem für die Betroffenen, wie Luhmann es bezeichnet einen „temporären Freiheitsverlust“, da es an Kenntnissen von dem neuen, hier noch aufoktroyierten Wohnort mangelt.

Die Inklusion in den weltgesellschaftlichen Exklusionsbereich findet über Zuordnung zu bestimmten Segmenten oder Netzwerken wie die schon genannte Familie, die Lebensgemeinschaft oder Gang/ Gruppe statt. Die Inklusion in diese Segmente findet nach eigenen Regeln über bestimmte Inklusionsmechanismen statt. Netzwerke übernehmen hierbei die Funktion der ausdifferenzierten Systeme, sie regeln das Zusammenleben in der Gemeinschaft. Diese Aufnahmebestimmungen, wie z. B. bei  Bandeninitiationen regeln sich dynamisch und spontan und unterliegen der dem System internen Ordnung. Ein Leben ohne eine Inklusion in eines der Segmente ist nicht möglich. Die einzelnen Segmente und Netzwerke stehen jedoch nicht isoliert, sondern sind durch Querverbindungen in Form von Verwandtschaften und Freundschaften miteinander verbunden. Persönliche Kontakte und mündliche Kommunikation gewinnen an Bedeutung. Netzwerke sind allerdings weitaus unantastbarer als Funktionssysteme, da sie nicht institutionalisiert sind. Die in den Marginalsiedlungen weit verbreitete Kriminalität macht sie zudem in hohem Maße stabil, da die Beteiligung an kriminellen Machenschaften und die verbreitete Kenntnis davon Verletzlichkeit produzieren, die die Zuverlässigkeit des Einzelnen garantieren. So können sich innerhalb des Systems Organisationen etablieren, deren Inklusions-/ Exklusionsmechanismus die Illegalität darstellt. Aber nicht nur die Illegalität stabilisiert das System, sondern auch findet der nicht endende Kreislauf der Armut: Da die Familien einem ständigen Kampf ums Überleben ausgesetzt sind, helfen die meisten Kinder beim Broterwerb, erhalten so keine Ausbildung, die Chancenlosigkeit auf dem Arbeitsmarkt entspricht der ihrer Eltern und die Aussicht auf finanzielle Besserung der Situation bietet sich mit Hilfe krimineller Tätigkeiten.




weiter